Solms – Mit Dutzenden Christstollen im Gepäck geht es 100 Meter tief einen dunklen Schacht hinunter. Wo früher Bergmänner Eisenerz aus der Erde holten, reift heute das Backwerk seiner Bestimmung in der Weihnachtszeit entgegen.
An seiner dunklen Lagerstätte in der
Grube Fortuna im mittelhessischen Solms ist es zwischen 12 und 13 Grad kühl, die Luftfeuchtigkeit beträgt 85 Prozent. Gute Bedingungen für einen Christstollen, dachte sich ein Bäcker aus Wetzlar.
«Das ist wie mit Wein oder einem gut abgehangenen Stück Fleisch», sagt Bäckermeister Heinz-Walter Eckhardt. Für ein besonderes Aroma komme es eben auch auf den Reifungsprozess an. Die Idee, Stollen quasi in einem Stollen zu lagern, entstand nach seinen Worten schon vor ein paar Jahren. 2014 kamen dann die ersten ins Bergwerk, derzeit reift die dritte Generation «Fortuna-Stollen» unter Tage.
Das Bergwerk ist Anfang des 20. Jahrhunderts in Betrieb gegangen. «Es ist noch viel Eisenerz drin, es hat sich aber nicht mehr rentiert», sagt Michael Volkwein von der Grube Fortuna. Schicht im Schacht war 1983. Heute ist die Grube ein Besucherbergwerk – gilt aber noch als echtes Bergwerk mit entsprechenden Regelungen.
So ist es nicht ganz leicht, die Stollen an ihren Bestimmungsort zu bringen. Zwar gibt es einen Aufzug, doch der stammt noch aus alten Bergbauzeiten und muss von Kennern bedient werden. So einer ist Bergmann Claus Morgenstern. Ehe es mit dem Förderkorb hinab auf die 100-Meter-Sohle geht, betätigt er eine Klingel. Ihr durchdringender Signalton hallt durch die Gänge und hinein in ein Maschinenhaus über Tage. Dort sitzt ein weiterer Mitarbeiter, der den Korb in Gang setzt und die Fahrt nach unten beaufsichtigt.
Dort angekommen schieben Bäckermeister Heinz-Walter und Sohn Markus Eckhardt sowie Bergmann Morgenstern im Licht ihrer Stirnlampen die Stollen, die auf einem Wagen liegen, in einen dunklen Gang. Diesen bezeichnen Bergleute als «Strecke», etwa zwei Kilometer zieht sie sich durchs Erdreich. Und hier wird das Gebäck nun vier Wochen lang ruhen.
Damit der Stollen am Ende des Reifungsprozesses an diesem ungewöhnlichen Ort noch genießbar ist und den gewünschten Geschmack hat, mussten die Bäcker etwas tüfteln. «Wir haben ausprobiert, wie er am besten reift, ohne zu schimmeln oder andere Makel zu entwickeln», erklärt Konditor und Bäckermeister Markus Eckhardt. Dabei testeten die Wetzlarer auch verschiedene Verpackungen, nun reift das Backwerk in Alufolie.
Die Wetzlarer sind nicht die einzigen, die ihre Stollen unter Tage reifen lassen. Andere Beispiele gibt es etwa aus Nordhessen oder Sachsen. «Es gibt öfter die Idee, Lebensmittel in Stollen einzulagern. Das ist im Prinzip auch eine gute Idee, und werbewirksam ist sie auch», sagt Ralf Pätzold vom Hessischen Landeslabor, wo er als lebensmittelchemischer Sachverständiger tätig ist.
«Für die Qualität eines Produktes ist entscheidend, dass es bei der Lagerung eine geeignete und konstante Luftfeuchtigkeit sowie Temperatur hat», erklärt der Experte weiter. Das müsse aber nicht unter Tage sein, es gehe etwa auch eine Klimakammer. «Aber in einem Bergwerkwerk hat man kaum Energiekosten für das Erreichen der optimalen klimatischen Bedingungen.»
Und was passiert während der Lagerung des Backwerks? «Ein Stollen reift im Prinzip. Er nimmt bei der Lagerung Feuchtigkeit auf, verteilt sie, und die Aromen werden intensiver. Das schmeckt dann runder.» Bäckermeister Heinz-Walter Eckhardts Tipp: Wenn man dann einen fertig gereiften Stollen zu Hause hat – nicht bis Weihnachten liegen lassen, sondern alsbald essen.
Fotocredits: Michael Reichel
(dpa)